Armut in der Nordstadt
Seit über 30 Jahren wird die Alte Feuerwache in der Wuppertaler Nordstadt mit den Folgen wachsender Armutslagen konfrontiert, insbesondere mit den Auswirkungen auf die Kinder. Anhaltende Benachteiligungen finden sich sowohl im materiellen Lebensstandard wie beispielsweise unangemessener Kleidung, einschränkenden Wohnverhältnissen oder unausgewogener Ernährung (vgl. Factsheet Bertelsmann Studie, 2020, S.5), als auch in emotionalen und sozialen Aspekten. Es fehlen zum Beispiel soziale Rückzugsmöglichkeiten, kalkulierbare Tagesstrukturen oder sichere Bindungen. Wie interne Erhebungen der Alten Feuerwache zeigen, weisen etliche Kinder signifikante Stressbelastungen und hohe Depressionswerte auf.
Ein Anker für gestresste Kinder
Die Angebotsstruktur der Alten Feuerwache hat sich im Laufe der Zeit kontinuierlich weiterentwickelt, um dem steigenden Versorgungsbedarf Rechnung zu tragen. Es entstanden unterschiedliche Fachbereiche, wie die Frühen Hilfen, der Kulturkindergarten und das Gesunde Kinderhaus mit den 8samkeitsgruppen.
Das Konzept der 8samkeitsgruppen basiert auf der zentralen Erkenntnis der Resilienzforschung und der neurobiologischen Wissenschaften: Das wirksamste Gegenmittel, um stressige Lebenssituationen und hoch belastete Entwicklungsphasen zu meistern, liegt in stabilen, also konfliktsicheren, Beziehungen. Nur stabile Beziehungen, so die Forschenden, bieten die Gewähr, dass Erfolge in allen für die Entwicklung wichtigen Bereichen – Bildung, Gesundheit und Sozialverhalten – erzielt werden können.
Dieser Erkenntnis folgend bietet die 8samkeitsgruppe acht hochbelasteten Kindern einen familienähnlichen Rahmen mit einer kalkulierbaren Tagesstruktur und sicheren Bezugspersonen. Die Kinder werden in allen wichtigen Belangen konsequent und liebevoll unterstützt und erhalten durch diese Sicherheit und Kontinuität die Möglichkeit, an schulischen Bildungsprozessen teilzunehmen, Stressentlastung zu erfahren und Konflikte zu bewältigen.
Neben der verlässlichen, täglichen Arbeit mit den Kindern ist auch eine enge Zusammenarbeit mit den Eltern, der Schule und weiteren Fachstellen konzeptionell verankert.
Stark in der Gruppe
Beobachtungen und Erfahrungen aus der praktischen pädagogischen Arbeit mit hochbelasteten Kindern zeigen, dass eine Gruppe mit maximal acht Kindern und ein bis zwei erfahrenen Bezugspersonen die ideale Gruppenstruktur bietet, um ein überschaubares Beziehungsfeld entstehen zu lassen. Eine solche Rahmenstruktur bietet optimale Möglichkeiten, um mithilfe zeitlicher Vorgaben und wiederkehrender Rituale, soziales Lernen zu etablieren und Stressentlastung zu ermöglichen.
Die erste 8samkeitsgruppe:
ein Leuchtturmprojekt
Im Jahr 2011 gründete sich eine nachhaltige Kooperation zwischen der Alten Feuerwache und dem Lions Club Wuppertal-Bergisch Land, um die erste 8samkeitsgruppe zu realisieren. Gemeinsam wurde ein interdisziplinärer Evaluationsrat gegründet, der das Pilotprojekt unter entwicklungspsychologischen Aspekten reflek-tieren und fachlich begleiten sollte.
Bewiesen wirksam
Im Zuge der Evaluation wurden umfangreiche Testverfahren angewendet, die die Kinder vor allem in Bezug auf ihre Stressvulnerabilität, Stressbewältigungsstrategien und ihr Depressionsaufkommen untersuchten. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Kinder der 8samkeitsgruppe bereits nach kurzer Zeit (12 bis 15 Monate) größtenteils signifikant verbesserte Ergebnisse in den klinisch relevanten Testverfahren aufwiesen: So fällt besonders auf, dass das Stress- und Depressionserleben der Kinder deutlich abnimmt und sich positive Bewältigungsmuster etablieren.
Blick nach vorne
Nachdem die Gründung der ersten 8samkeitsgruppe mehr als zehn Jahre zurückliegt, können wir heute bereits auf einige biografische Entwicklungen zurückblicken. Von Vorteil ist, dass noch zu allen, mittlerweile volljährigen, Gruppenmitgliedern Kontakt besteht. Der Erfolg zeigt sich unter anderem darin, dass nahezu alle Kinder den anvisierten Schulabschluss nicht nur erreicht, sondern überholt haben und sich heute in stabilen Lebenssituationen befinden. Das war vor dem Hintergrund der hoch belasteten Entwicklungsumstände keineswegs erwartbar.
Mehr von dem, was wirkt
Da die 8samkeitsgruppe eine der wirksamsten präventiven Maßnahmen für die Entwicklungschancen benachteiligter Kinder zu sein scheint, tritt der Förderverein chance_8 an, um die Arbeit der bestehenden Gruppen abzusichern und weitere Gruppen zu ermöglichen. Wie die Bertelsmann-Erhebung zur Entwicklung der Kinderarmut bestätigt: Kinderarmut ist ein wachendes gesellschaftliches Problem in Deutschland und der Bedarf nach wirksamen Konzepten ist groß.
Tun wir etwas!